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Über den Film
Credit
Synopsis
Die Erde ist so unbewohnbar wie der Mond (Birgit Flos)
Ruth Mader über Struggle



Struggle
ein Film von Ruth Mader
mit Aleksandra Justa, Gottfried Breitfuß, Martin Brambach, Margit Wrobel, Rainer Egger, Wiktoria Novak
eine Produktion von Struggle Films und Amour Fou

Österreich, 2003, 74 Minuten, Farbe, 35 mm, 1:1,66, Dolby Digital



Synopsis

Struggle spielt im Österreich von heute, an der Grenze zwischen Ost und West, an der Grenze zwischen Armut und Reichtum. Ewa, eine junge Polin, hetzt von einem Job zum anderen - sie pflückt Erdbeeren, arbeitet in einem Geflügelschlachthof, schrubbt die Swimmingpools der Reichen. Ihr Dasein ist auf den Kampf ums Überleben begrenzt, von der Hoffnung getrieben, eine bessere Zukunft für sich und ihre kleine Tochter zu finden. Der zweite Teil des Films zeigt einen kürzlich geschiedenen Wiener Immobilienmakler, der nun damit beginnt Swingerclubs zu frequentieren, auf der Suche die Leere seines neuen Lebens zu füllen. Er ist nicht, wie Ewa, von finanziellen Ängsten geplagt, er ringt um menschliche Nähe. Beide, Ewa und Marold, sind körperlich verwundbar - Ewa durch die ständige Unsicherheit, ob sie ihre existenziellen Bedürfnisse decken kann, und Marold, weil er in seiner betäubenden Isolation seinen Körper verletzen muss, um überhaupt etwas zu fühlen. Als sie sich treffen, treibt ihre Verzweiflung sie zu noch größeren Extremen.

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Die Erde ist so unbewohnbar wie der Mond
von Birgit Flos

Der erste Satz im Film lautet: Ich habe Sehnsucht nach dem Tod ...
Man sieht das Gesicht einer alten Frau, abwartend; Struggle von Ruth Mader ist ein Filmtext über das Überleben. Wie auf dem Reißbrett strukturiert, kommt der Film mit einer geradezu elementaren Intensität daher. Die Aussage ist klar: Leben heißt Geld verdienen, um das Überleben zu sichern.

Ewa, der jungen Polin, muss es egal sein, was sie arbeitet. 4 Arbeitskapitel/4 Arbeitsplätze: Erdbeerfeld, Truthahnverarbeitung, 2 x Reinigungsarbeiten; Der Sohn des Hauses, für das sie den Swimmingpool reinigt, stellt ihr aus sicherer Entfernung ein Tablett mit einem Imbiss hin: „Meine Mutter lässt ausrichten, sie können jetzt eine Pause machen“. Keine Gespräche mit den anderen; Nicht mit denen auf dem Erdbeerfeld, nicht mit denen, die mit ihr in der Früh am Straßenrand auf Arbeit warten. Aber auch keine explizite Unfreundlichkeit. Die Ausbeutung am Arbeitsstrich verläuft korrekt. Keine Übergriffe, nur potentiell die von der Polizei, die eine Razzia veranstaltet. Dann ist auch Ewa auf der Flucht, hetzt über die Wiese und bricht schluchzend zusammen. Der filmische Ansatz wirkt zunächst geradezu haptisch dokumentarisch. Wir meinen die Hände im Erdbeerfeld zu spüren, die immer gleichen Gesten, wenn die Truthähne ausgenommen werden. Aber es ist fast ein fiktiver dokumentarischer Ansatz. Die Arbeitssituationen sind choreographiert und photographiert wie ganz großes Melodrama. Die Szenen der PflückerInnen im Erdbeerfeld sind von atemberaubender Wucht. Wir sehen Figuren in der Weite der Landschaft, die präzisen Gesten des Pflückens, blaues Plastik mit Grün, Zweiergruppen, Dreiergruppen malerisch in die Achse der Perspektive hinein, Nahaufnahmen und dann wieder die Weite mit einem tief hängenden Wolkenhimmel. (Kamera: Bernhard Keller; Schnitt: Niki Mossböck). Das Auge ruht sich in dieser Weite aus, während die Anstrengung der Arbeit fast körperlich erfahrbar wird. Der Film leistet gleichzeitig die Dokumentation dieser Arbeit (ihre Exterritorialität, die Improvisation der Lebensumstände) und Assoziationen dargestellter Arbeit: Jean François-Millet, Walker Evans, überhaupt die Fotografie der amerikanischen Depressionszeit. Menschen stehen, sitzen, arbeiten in Gruppen und sind allein. Das ist eine sachliche Feststellung, die nicht anrührend in einem Doppeltext erzählt wird. Wir sehen, wie keine der Arbeitsgesten in einen narrativen Kontext der Entwicklung oder Befriedigung gestellt werden kann. Es geht nur um diese funktionellen, repetitiven Gesten; sie werden am Ende des Arbeitstages entlohnt. Die Arbeiten sind austauschbar.
Im zweiten Teil wechselt die Perspektive von der klaren Gesichtslandschaft der jungen Polin zu dem Gesicht eines einheimischen Maklers, der sich durch leere Immobilienobjekte bewegt. Der verbale Austausch gehört jetzt eher zum Arbeitsprofil. Aber auch hier kommt es zu keiner Kommunikation. Vater/Tochter Gespräche sind minimale Pflichtübungen. „Hast du den Papa lieb?“ – „Es geht.“ Einsames Essen in emotional unbewohnten Räumen. Mit dem Arbeitskollegen Männergespräche über sexuelle Erfahrungen. Der Jüngere lädt ihn auf ein Erniedrigungsritual ein. Man weiß nicht, welches die berührendste Szene des Films ist. Vielleicht doch diese, in der ein Mann bereit ist, sich selbst die Erfahrung des Erhängens zu geben, um etwas zu spüren oder nur um zu zeigen, dass er vor nichts zurück schreckt. Ich habe Sehnsucht nach dem Tod. Wir spüren die äußerste Verletzlichkeit seines Körpers. Das ist fast jenseits der Schmerzgrenze, aber mit einer zurückgenommenen Augenzeugen-Kamera beobachtet; aus der Entfernung wie ein religiöses Ritual, an das man nicht näher herankommen darf. Selbst im Swingerclub werden sexuelle Handlungen durch Sehschlitze aus großer Distanz erfahren. Als ob das Fernglas umgedreht wäre. Erotik, Zärtlichkeit, Berührungen bleiben unerreichbar.

Das ist das Besondere an diesem großen Film, dass er mit komplex und überzeugend kadrierten und choreographierten Bildern so etwas Banales und Herzberührendes wie das nackte Überleben im menschlichen Niemandsland zu erzählen versucht, während die Songs aus den Autoradios unbeirrt eine Welt von Liebe und Glück projizieren ...
Nur die Märchengeschichte des Puppenspiels vermag auf die angestrengten Gesichter einen Innenraum, ein Lächeln zu bringen. Es bewegt sich noch etwas.
„Weißt du vielleicht wo die Prinzessin wohnt?“
Ein wunderbarer Film über das Überleben. In vermeintlich einfachen, und doch genau definierten Bildern, in diffizilen Farbnuancen und komplexen Geräuschabläufen ist alles da, um was es in einem Film gehen sollte: Arbeit, Liebe, Tod.

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Ruth Mader über Struggle

„Die Idee für den Film entstand, als ich von Erdbeerpflückern erfuhr, die aus Osteuropa - aus Polen, Rumänien und der Slowakei - nach Österreich kommen, um für sechs Wochen auf den Erdbeerfeldern Niederösterreichs zu arbeiten. Sie leben in Containern an den Feldrändern und verdienen 25 Cent pro geerntetes Kilogramm.“

„Mich interessierte eine detaillierte, präzise und authentische Beschreibung von Arbeit - die Gesichter, die Hände, Arbeitsabläufe, Räume und Zeitspannen.“

„Formal stand eine klare, sachliche Bildsprache im Vordergrund. Szenen wurden in wirklichen Fabriken gedreht, meist mit den dort beschäftigten Arbeitern. Die Einstellungen sollten den Ablauf und Rhythmus der Arbeitsschritte exakt wiedergeben. Wichtig war eine respektvolle Annäherung und Porträtierung der einzelnen Arbeiter.“

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